Eichstätt/Ahrtal - Drei Wochen nach der Hochwasserkatastrophe sind die Aufräumarbeiten immer noch im vollen Gange. Ebenso wichtig wie praktische Hilfen ist die emotionale Unterstützung der Betroffenen. Mit dem großen Einsatzkontingent aus dem Landkreis Eichstätt fuhr vergangene Woche Josef Schön zum Nürburgring. Dort sind die Einsatzkräfte stationiert, die im gesamten Ahrtal Hilfe leisten. Schön ist organisatorischer Leiter Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), er war mit Robert Steinhauser, Dorothee Holl und Sonja Krammer für das Eichstätter Kriseninterventionsteam, Arbeitsgemeinschaft des Malteser Hilfsdienst, des BRK und anderer Hilfsorganisationen, im Einsatz. Katrin Straßer sprach mit Josef Schön über das Erlebte.
Herr Schön, was tut die Psychosoziale Notfallversorgung im Krisengebiet?
Josef Schön: Wir sind in Teams mit anderen Einsatzkräften in den betroffenen Orten unterwegs. Dort stehen wir den Menschen zum Beispiel bei, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass ihr Haus nicht nur sofort abgerissen wird, sondern dass es so einsturzgefährdet ist, dass sie es nicht mehr betreten dürfen, um vielleicht noch irgendwelche Erinnerungsstücke herauszuholen. Die stehen tatsächlich vor dem Nichts.
Es sind ja nicht „nur“ materielle Werte, die im Ahrtal zerstört wurden. Es gab auch viele Tote. Kamen Sie in Kontakt mit Hinterbliebenen?
Schön: Ja. Wir haben mit einem Mann gesprochen, der seine Frau zum letzten Mal gesehen hat, als sie in der Unwetternacht in den Keller ging, um eine Taschenlampe zu holen. Ein anderes Ehepaar wollte sich auf einen Felsen am Hang retten, und der Mann konnte seine Frau nicht festhalten und musste zusehen, wie sie von den Wassermassen mitgerissen wurde. Aber nicht nur die Hinterbliebenen leiden - da war zum Beispiel ein Jugendlicher, der seit dem Unwetter massive Panikattacken bekommt, wenn er Regentropfen nur hört.
Wie können Sie in so einer Situation helfen?
Schön: Dafür gibt es kein Patentrezept. Wir müssen immer auf die individuelle Situation reagieren, sehen, wie wir Zugang zu den Menschen finden. Dann gilt es, gemeinsam mit den Betroffenen Ressourcen zu finden, mit denen sie ihre eigene Handlungsfähigkeit wieder herstellen können.
Sie und Ihr Team waren auch für die psychologische Unterstützung der Einsatzkräfte zuständig?
Schön: Natürlich stehen die Einsatzkräfte unter einer enormen Belastung. Zum einen, wegen dem, was sie erleben. Das sind nicht nur körperliche Anstrengungen. Unter all dem Müll und Schlamm tauchen leider auch immer noch Leichen auf. Und, man las das ja bereits in der Zeitung, sie sind auch Aggressionen von Seiten der Bevölkerung ausgesetzt.
Das kann man sich kaum vorstellen - warum rufen ausgerechnet Hilfskräfte Aggressionen hervor?
Schön: Da entlädt sich einiges, der Zorn auf die Politik, das Gefühl, alleingelassen zu werden. Teilweise auch Neid, wenn dem Nachbarn eher geholfen wird. Oder Unverständnis, wenn Einheiten für essentielle Arbeiten an der Infrastruktur in Bereitschaft gehalten werden. Manche Hilfstrupps haben auf ihren Einsatzfahrzeugen die Landkreiskennung abgeklebt und die Namensschilder abgenommen, da es tatsächlich schon Verfahrensandrohungen gegen Hilfsorganisationen wegen unterlassener Hilfeleistung gibt. Da stellt sich für die größtenteils ehrenamtlichen Einsatzkräfte, die aus ganz Deutschland angereist sind, um zu helfen, schon die Sinnfrage.
Was sagen Sie denen? Oder hilft da einfach nur zuhören?
Schön: Zuhören ist natürlich erst einmal das Wichtigste. Dann versucht man zu erklären, was in den Betroffenen möglicherweise vorgeht, dass die Einsatzkräfte hier oft stellvertretend angegriffen werden für vermutetes Versagen an anderer Stelle - einfach, weil sie vor Ort und greifbar sind. Aber, das möchte ich betonen, wir haben auch viel Positives gesehen.
Was hat Sie positiv beeindruckt?
Schön: Die enorme Hilfsbereitschaft. Die vielen Hilfsorganisationen mit ihren haupt- und ehrenamtlichen Helfern, die mit großer Leidenschaft Hand in Hand ihren Dienst verrichtet haben. Und die großen Gruppen, ganze Horden von jungen Menschen, die sich freiwillig mit Schaufeln und Besen an den Aufräumarbeiten beteiligt haben. Pfadfinder, die Suppe gekocht und mit Bollerwagen ausgefahren haben. Oder der Masseur, dessen Praxis und Wohnung vom Hochwasser komplett zerstört wurde - der Mann kam jeden Tag zu den Einsatzkräften und hat kostenfreie Massagen angeboten. Und auch die große Dankbarkeit der Betroffenen, etwa wenn sie mitbekommen, dass es Einsatzkräfte aus Bayern oder Norddeutschland sind, die ihnen da helfen. Da gab es viele tränenreiche Umarmungen.
Ihr Einsatz ist nun erst einmal beendet - aber die Bevölkerung im Ahrtal wird doch auch weiterhin Unterstützung brauchen, oder?
Schön: Definitiv. Da ist ein ganzer Landstrich traumatisiert, hier wird noch über Monate psychologische Hilfe notwendig sein. Aber das können wir Hilfsorganisationen nicht leisten, unsere ehrenamtliche Struktur lässt zwar schnelle Hilfe in akuten Notsituationen, aber keine langfristige Betreuung zu. Da müssen nun andere Strukturen geschaffen werden.
Das Gespräch führte Katrin Straßer